Rotkohl
Rotkohl / Blaukraut (Frage 7b)
Foto: privat
Das abgebildete Gemüse, die Kohlsorte Brassica oleracea var. capitata f. rubra, hat eigentlich violette Blätter. Die genaueren Farbbezeichnungen für den Zwischenton, violett und lila, sind jüngere Entlehnungen (wie auch orange und rosa), die Pflanze war dagegen schon im Mittelalter im deutschen Sprachgebiet bekannt und wird bis heute je nach Region als „rot“ oder als „blau“ bezeichnet (vgl. König et al. 2019, S. 208). Bei Hildegard von Bingen erscheint schon rothkole, allerdings ist dieser Beleg nach Hildebrand (vgl. Hildegard von Bingen: Physica. Bd. 3, 2014: 289)[1] eine Ausnahme, da im Mittelalter normalerweise noch nicht explizit zwischen Rotkohl und Weißkohl unterschieden wurde. Nicht ganz sicher ist auch, ob sich die Bezeichnung immer schon auf die uns vertraute Farbe bezog. (Nach van Veen / van der Sijs 1997, Artikel "rodekool", gab es neben der violetten früher eine eindeutig rote Varietät, auf die sie die niederländische Bezeichnung zurückführen.) Dass jedenfalls in den rezenten deutschen Bezeichnungen neben Rot- auch Blau- steht, hat vielleicht nicht nur mit dem Zwischenton zu tun, sondern es reflektiert auch eine besondere Eigenschaft: Der Kohl – bzw. das darin enthaltene Cyanidin – ist ein Indikator; je niedriger der pH-Wert der Flüssigkeiten, mit denen er in Kontakt kommt, desto mehr färbt er sich rot (Säuren), je höher der pH-Wert (Basen), desto mehr färbt er sich blau (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Cyanidin.
So hängt der Farbton des Gemüses auch vom pH-Wert des Bodens und von der Zubereitung ab. Die verbreitet übliche Beigabe von Essig und/oder Äpfeln verstärkt die Tendenz ins Rötliche; entsprechend wird der Kohl im Norden und Westen (inklusive Südwesten) von Deutschland sowie in der Schweiz und im östlichen und südlichen Österreich als „rot“ bezeichnet (Rotkohl, Rotkraut, roter Kappes, roter Chabis). Auch in anderen Sprachen wird die Farbe als „rot“ spezifiziert (engl. red cabbage, frz. chou rouge, it. cavolo rosso).
In einem kompakten Gebiet von Bayern und dem größten Teil von Württemberg über die westliche Hälfte von Österreich bis Südtirol nennt man diese Kohlsorte dagegen „blau“ (Blaukraut). Hinweise auf eine Zubereitung mit basischen Zutaten, die das Gemüse eher blau erscheinen lassen, finden sich allerdings in Kochrezepten selten; wenn von der Beigabe von Natron die Rede ist, dann normalerweise mit dem erklärten Ziel, diese Färbung zu produzieren.
Variation ergibt sich darüber hinaus durch die unterschiedlichen Grundwörter: Kohl im Nordteil von Deutschland und im Westen auch noch vereinzelt bis hinunter nach Baden, Kraut von Sachsen, Thüringen, Hessen und dem Saarland / der Pfalz an nach Süden, und schließlich verstreut Kappes an der Mosel und Chabis in der Schweiz. Anders, als die Verteilung annehmen ließe, handelt es sich bei Kohl um ein lateinisches Lehnwort (lat. caulis, vgl. span. col, it. cavolo) aus der Zeit des Kontakts zwischen Germanen und Römern, in der viele Kulturpflanzen zusammen mit ihren lateinischen Namen im germanischen Gebiet übernommen wurden. Aber auch Kappes bzw. Chabis geht auf das Lateinische zurück, es bezieht sich speziell auf den Kopfkohl (mittellat caputium ‘Kopfkohl’, zu lat. caput ‘Kopf’, Pfeifer). Kraut dagegen existiert nur im Deutschen und Niederländischen, die weitere Herkunft ist unklar (Pfeifer).
Die Unterschiede zwischen den regionalen Bezeichnungen sind offenbar recht stabil: Im Vergleich zu der Verteilung in den Dialekten um 1940 (DWA Kt. 143, Bd. 17) hat sich das Bild nur in einem Punkt nennenswert geändert, nämlich darin, dass roter Kappes – in den Dialekten noch im ganzen Rheinland bis nach Westfalen üblich – bis auf wenige Reste durch Rotkohl ersetzt worden ist. Nach Kretschmer (1918: 573f.) sagte man auch in der „hochdeutschen Umgangssprache“ Anfang des vorigen Jahrhunderts in diesen Gebieten zumeist noch roter Kappes, seine Gewährspersonen aus Aachen und Koblenz geben aber schon Rotkohl an. In der WDU-Karte nach Befragungen aus den 1970er Jahren (WDU Bd. 2 1978, Kt. 93) finden sich aber – anders als in unserer Karte – noch einige Nennungen von roter Kappes in Nordrhein-Westfalen. Stark zurückgegangen ist nach dem Vergleich mit dieser Karte auch die Verbreitung von Blaukraut in Kärnten und den östlichen Bundesländern Österreichs, wo sich Rotkraut durchgesetzt hat.
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- 27.12.2023