brauchen

f7_06a

brauchen (Frage 6a)

Schon seit Längerem wird beobachtet, dass das Verb brauchen in seiner mit nicht verneinten Form alltagssprachlich, z. T. aber auch in der Schriftsprache, zunehmend mit verbalen Infinitiven ohne die Partikel zu verwendet wird. Literatursprachliche Belege gibt es schon für den Beginn des 19. Jahrhunderts (von Polenz 1999, 351 ). Damit nähert sich nicht brauchen von seiner syntaktischen Gebrauchsweise her immer mehr den Modalverben im Deutschen an, die ebenfalls mit einfachem Infinitiv stehen (Askedal 1997, Duden-Zweifelsfälle 2007, 185).
Die Gewährsleute wurden gefragt: „Wie sagt man üblicherweise an Ihrem Ort?“, und sie hatten folgende Optionen zur Auswahl:
„Sag ihm, er braucht nicht mehr zu kommen.“
„Sag ihm, er braucht nicht mehr kommen.“
„Bei uns verwendet man das Wort brauchen so nicht.“
Die Karte zeigt eine deutliche Zweiteilung des Sprachgebiets: Im österreichischen und deutschen Sprachraum südlich der Mainlinie gaben die Gewährsleute fast einmütig an, dass dort brauchen ohne zu verwendet werde. Für den Norden und die Mitte Deutschlands sowie für Südtirol wurde dagegen überwiegend brauchen mit zu gemeldet. Aus Luxemburg, Ostbelgien und dem größten Teil der deutschsprachigen Schweiz wurde sogar ausschließlich die Verwendung von brauchen mit zu angegeben; im Osten der Schweiz und in Vorarlberg ist der Gebrauch von brauchen + Infinitiv offenbar unüblich.
Ob dieses Antwortverhalten den tatsächlichen Sprachgebrauch widerspiegelt (oder etwa ,nur‘ den Eindruck der Gewährsleute von einem grammatisch ,normgemäßen‘ bzw. – bewusst – ,normgemäßen‘ Sprechen in den jeweiligen Gebieten) oder – anders gesagt: – ob die Grammatikalisierung von nicht brauchen im oberdt. Sprachgebiet am meisten fortgeschritten ist, muss offen bleiben. Im „Berliner Wendecorpus“ etwa (282.000 Tokens gesprochener Sprache, 1993–1996, s. www.dwds.de) finden sich doppelt so viele Konstruktionen von nicht brauchen ohne zu wie mit zu.