2. P. Pl., Verbform, Pronomen

13_5a_Verbform_2Pers_Plural

habts (ihr / es)? (Frage 5a)

13_5b_Pron_2Pers_Plural

ihr / es (2. Person Plural) (Frage 5b)

Bei der der Karte 5.a) zugrundeliegenden Frage ging es gezielt um ein morphologisches Phänomen und dessen Gebräuchlichkeit. Das Phänomen ist das Anhängen eines -s bei Verbformen in der 2. Person Plural in der vertrauten Anrede (also nicht beim Siezen). Wir haben den folgenden Fragesatz als Beispiel vorgegeben: Habts ihr (oder ees / es / ös) morgen Zeit? Diese Form ist offenbar in allen dialektal bairischen Gebieten Österreichs (also außer Vorarlberg), Bayerns (d.h. nicht in Franken, aber dafür auch in Bayerisch-Schwaben) sowie in einigen Orten Südtirols sehr üblich. Aus vielen Orten Frankens und in manchen Orten in Ostschwaben, Bayerisch-Schwaben und je einem Ort in Südtirol und im Elsass wurde gemeldet, dass die Form manchmal zu hören sei.

Wir haben in dem Beispielsatz bewusst nicht nur das Personalpronomen ihr eingebaut, sondern auch die Formen ees / es / ös vorgeschlagen. Das bringt uns gleich zur zweiten Karte (5. b). Ihr liegt eine Frage zugrunde, die sich eigentlich nur an diejenigen richtete, die bei der ersten Frage „sehr üblich“ oder „manchmal zu hören“ antworten. Es geht darum, ob man in dem oben vorgegebenen Satz als Personalpronomen nun ihr oder es (mit langem /e:/, deshalb die Schreibung ees, bzw. in der gerundeten Aussprachevariante, deshalb ös) verwendet. Bei es handelt es sich um das ursprünglich in allen bairischen Dialekten vorkommende Personalpronomen der 2. Person Plural – eben die bairische Variante von ihr. Sie wird – wie auch die Akkusativform enk – als Relikt eines indoeuropäischen Dualis gedeutet (vgl. König, Elspaß & Möller 2019: 157), eine Teilkategorie des Numerus, die paarweise auftretende Einheiten bezeichnet – in diesem Fall so etwas wie ‘ihr beide’ (bzw. ‘euch beide’ im Fall von enk), was im Laufe der Zeit zu einem Pronomen für mehrere angeredete Menschen umgedeutet wurde (Merkle 1975: 123; Zehetner 1998: 106).

Die untere Karte zeigt, dass es in dialektal bairischen Gebieten „sehr üblich“ oder „manchmal zu hören“ sei. In allen anderen Regionen wird ihr verwendet. Die Einschränkung der Frage auf die Gebiete, wo man ein -s an die Verbform anhängt (obere Karte 5a), wurde offenbar von den Befragten nicht ernst genommen, man muss also beide Karten vergleichen, um zu sehen, ob man sagt: Habts ihr morgen Zeit? oder: Habt ihr morgen Zeit? Auffälligerweise umfasst das es-Gebiet aber nicht das gesamte bairische Dialektgebiet. In den meisten Gebieten der Steiermark und Teilen Kärntens sagt(e) man auch in den Dialekten ihr (vgl. https://bwb.badw.de/fileadmin/user_upload/Files/BWB/KranzmayerKarten/1801_Blatt01.jpg>). An den Rändern zum Fränkischen und Schwäbischen in Bayern, also in der Oberpfalz und um München herum, sowie um Wien und Klagenfurt herum wird ihr heute als übliche Form gemeldet, also auch in Gebieten, in denen in der Verbform der 2. Person das -s angehängt wird (Habts ihr morgen Zeit?).

Dies ist insofern interessant – und damit kommen wir zur ersten Karte (5. a)) zurück –, als dem s in habts eine klitische Form des es zugrunde liegt: Habts ist aus einer Zusammenziehung von habt + es entstanden. Das heißt, dass die klitische Form -s auch in denjenigen Regionen verwendet wird, in denen es als freies Personalpronomen der 2. Person Plural nicht mehr in Verwendung ist (z.B. um die Metropolen München und Wien sowie die Groß- und Universitätsstädte Regensburg und Graz herum). Sie ist sogar auch dort (manchmal) zu hören, wo man in den Dialekten nicht es, sondern ihr als Personalpronomen gebrauchte, z.B. in Teilen Ostschwabens, Frankens und Osttirols. Mehr noch: Die Fügung habts wird noch mit einem zusätzlichen – eigentlich redundanten – Pronomen ihr verwendet (wörtlich ,übersetzt‘ hieße das: „Habt ihr ihr …?“), was deutlich macht, dass das -s nicht mehr als Form des Pronomens aufgefasst wird, sondern als Endung des Verbs, die die zweite Person Plural anzeigt. Als solche erscheint das -s nach der Karte heute nicht nur in den dialektal bairischen Gebieten, sondern auch darüber hinaus in angrenzenden Orten Frankens und Schwabens, deren Dialekte vermutlich nie das bairische es hatten.