Fangen

9_08a

Fangenspiel der Kinder (Frage 8a)

Gefragt war: "Wie nennen die Kinder an Ihrem Ort das Spiel, bei dem ein Kind den anderen Kindern hinterherlaufen und eines davon abschlagen muss (das dann wieder den anderen hinterherlaufen muss)?"

Bei dieser Frage sind wir zunächst einmal (dank teilweise entrüsteten Kommentaren von Informanten) auf ein weiteres Variationsphänomen gestoßen: Darunter, dass ein Kind ein anderes abschlägt, versteht man jedenfalls in der Schweiz nicht, dass das Kind dem anderen Kind einen leichten Schlag versetzt (eher eine Berührung), der nach der Spielregel eine Bedeutung hat, sondern dass es das andere Kind krankenhaus- bzw. spitalreif schlägt (andernorts: zusammenschlagen).  Letzteres war natürlich nicht gemeint.

Da man über Kinderspiele vor allem im lokalen Rahmen kommuniziert, jedenfalls sofern sie ohne Zubehör auskommen, sollte hier die Möglichkeit zahlreicher Varianten und Abwandlungen berücksichtigt werden, darum waren keine Optionen vorgegeben. Tatsächlich kommen kleinere Abwandlungen von Varianten relativ häufig vor, daher die lange Legende der Karte, aber die Verteilung der Hauptvarianten ist recht übersichtlich: In Deutschland, Österreich und Ostbelgien überwiegt zumeist einfach der substantivierte Infinitiv Fangen, im Osten der Steiermark und im Süden des Burgenlands Abfangen. In Franken und Teilen von Bayern herrschen Fangerl und Ableitungen davon (vor allem Fangerle(n)s) vor, in Bayerisch-Schwaben heißt es relativ einheitlich Fang(k)us, in der Schweiz Fangis (im Wallis Fangnis).  Fangis reicht neben Fangi auch noch nach Baden-Württemberg hinein, weitere Formen sind Fanges (Elsass und Lothringen), Fanger (Sachsen), Fangermandl (Bayern), Fangsdi und Fangste(r)l (Oberbayern) und vereinzelte andere.

Ganz andere Bezeichnungen finden sich nur in wenigen Regionen, zumeist gehen sie auf mehr oder weniger synonyme Verben zurück: In Südtirol und Kärnten gibt es dieselben Ableitungstypen wie von Fangen auch von Derwischen  ('Erwischen'), in Niedersachsen und vereinzelt weiter südlich heißt das Spiel auch Kriegen, in Sachsen und Sachsen-Anhalt Haschen, in (Ost-)Westfalen stellenweise Packen, im Osten Österreichs Nachrennen, in der Schweiz wurde auch Jagis gemeldet. Auf das "Abschlagen" beziehen sich dagegen An-/Abtatscheln in Österreich und Tick, das mit verschiedenen Ableitungen im Norden und Westen Norddeutschlands ein größeres geschlossenes Areal bildet (vgl. nl. tik 'Klaps', tikken 'einen leichten Schlag geben', vermutlich lautmalerischen Urpsrungs, aber in verschiedenen).  

Der Vergleich mit der Karte aus dem WDU (I, 49) weist darauf hin, dass in den letzten 35 Jahren offenbar in großem Umfang regionale Bezeichnungen des Spiels von Fangen verdrängt worden sind. So galt nach der WDU-Karte nicht nur in ganz Niedersachsen, sondern auch noch im Westen von Sachsen-Anhalt und Thüringen Kriegen und im restlichen Thüringen und in Sachsen durchgehend Haschen. Im übrigen Ostdeutschland ist im WDU noch ausschließlich Einkriegezeck (Berlin und südliches Brandenburg) und Greif(en) verzeichnet (in unserer Befragung gelegentlich noch gemeldet, aber nie über 35% der Antworten). Im Westen zeigt die WDU-Karte ein großes rheinisch-hessisches Areal mit ausschließlich Nachlauf(en)-Symbolen, die in unserer Karte nur noch im Osten Österreichs vorkommen, und auch dort seltener als im WDU. Eine leichte Ausbreitung regionaler Varianten scheint nur bei Fangkus (auf Kosten von Fanger und Fango) und bei Tick (auf Kosten von Kriegen) stattgefunden zu haben.