Möhre/Karotte

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Möhre/Karotte (Frage 1k)

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Foto: FotoHiero / pixelio.de

Die Karte zeigt die Ergebnisse für die Frage nach einem ‘in der Erde gewachsenen orangefarbenen Gemüse in der abgebildeten länglichen Form’. (Es wurde also nicht nach der kleineren, runden Gemüsesorte gefragt.)

Es sind im Wesentlichen sieben relativ klar abgrenzbare Wortgebrauchsräume zu sechs Varianten zu erkennen: Wurzel im äußersten Norden und Nordwesten, Mohrrübe im Nordosten, Möhre im Westen und Mittelosten, gelbe Rübe im Süden Deutschlands (Bayern, Baden-Württemberg sowie östliches Saarland und südliches Rheinland-Pfalz) und in Vorarlberg, Rübli in der Schweiz und in Liechtenstein sowie Karotte in Österreich (außer Vorarlberg), in Südtirol und – ganz auffällig – im Gebiet der alten Kurpfalz. Die hier dargestellten Wortgebrauchsräume stimmen in Teilen mit den Verbreitungsgebieten der verschiedenen Formen überein, wie sie in den 1970er Jahren für den „Wortatlas der deutschen Umgangssprachen“ (WDU II– 89) erhoben wurden. Der Wortgebrauchsraum von Rübli ist relativ stabil geblieben. Hinsichtlich der anderen Varianten zeigen sich jedoch auffällige Veränderungen: So ist das Verbreitungsgebiet von Wurzel, das sich vor 40 Jahren noch über fast den gesamten Nordwesten (nördlich von Ruhr, Diemel und Werra) sowie im Osten auch über ganz Mecklenburg-Vorpommern erstreckte, auf etwa die Hälfte geschrumpft – man könnte grob sagen: auf die Gebiete, in denen das Niederdeutsche heute noch in vielen Bevölkerungsgruppen in Gebrauch ist. Dort könnte es durch die niederdeutsche Bezeichnung wortel gestützt sein. In Mecklenburg-Vorpommern, von wo noch vor 40 Jahren hauptsächlich Wurzel gemeldet wurde, sagt man offenbar nun Mohrrübe, seltener Möhre. Die Verwendung des Worts Möhre hat sich im Norden allgemein weiter ausgebreitet, im Nordwesten sehr stark zu Lasten des Gebrauchs von Wurzel, und in Brandenburg ist es neben Mohrrübe getreten. Dahingegen deuten die wenigen Meldungen für Möhre in Österreich im Vergleich mit der alten Karte auf eine starken Rückgang dieser Variante zugunsten von Karotte, denn auf der WDU-Karte steht Möhre in Niederösterreich, Kärnten, der Steiermark und im Burgenland noch ungefähr gleichberechtigt neben Karotte. In Tirol und im Land Salzburg sowie auch in Südtirol hat das Wort Karotte die früher noch gemeldeten Varianten Möhre und vor allem gelbe Rübe offenbar vollständig verdrängt. Es sieht danach aus, dass sich Karotte allmählich als gesamtösterreichische Variante durchsetzt. In der Befragung für den WDU wurde die Bezeichnung Karotte in Österreich vielerorts als „hochsprachlicher“, „neuer“ oder „moderner“ beschrieben als die anderen Varianten (WDU II, S. 26). Auch unter etymologischen Gesichtspunkten ist das Wort Karotte ,neuer‘ und ,moderner‘: Während sich die fünf erstgenannten Varianten auf germanische und weiter indoeuropäische Wortstämme zurückführen lassen, handelt es sich bei Karotte um ein erst im 16. Jh. aus dem Französischen entlehntes Wort (daher auch die Betonung auf der zweiten Silbe).

Auffallend ist aber auch, dass sich dieses Wort auch in Deutschland immer weiter verbreitet. Während die WDU-Karte die Verwendung von Karotte nur für das Rhein-Main-Gebiet ausweist – und dort meist als Nebenvariante! –, erscheint dieses Gebiet auf der neuen Karte als geschlossener Raum, in dem ausschließlich Karotte verwendet wird. Auch im Süden und im Norden Deutschlands finden sich auf der Karte von 2012 vielerorts (Zweit-)Meldungen für Karotte. Diese starke Ausbreitung deutete sich bereits bei einer Erhebung aus dem Jahre 2002 an (vgl. Möhre im AdA-Pilotprojekt), die allerdings auf einem viel kleineren Sample (weniger als 1.500 ausgewertete Meldungen) beruhte.

Zur Verbreitung von Möhre in Deutschland und Karotte in Österreich und Deutschland hat sicher beigetragen, dass diese beiden Wörter im Vergleich als höherwertig oder gar als die einzigen beiden standardsprachlichen Varianten angesehen werden. Als Produktbezeichnungen auf Verpackungen sind in Deutschland praktisch nur Möhren und Karotten üblich, in Österreich überwiegt Karotten.

Den Sprachwandel machen auch einzelne Kommentare von Gewährspersonen (GP) deutlich: – „eher Karotte, manchmal Mohrrübe oder Rübe (schon etwas veraltet)“ (GP aus Frankfurt am Main) – „Neben gelben Rüben ist auch das Standarddeutsche Karotten üblich.“ (GP aus Niederbayern) – „Karotte (keinesfalls Möhre!)“ (GP aus Wien) – „Mein erstes Wort war Gelbe Rübe. Später sind wir in der Familie zu Karotte übergegangen.“ (GP aus Gießen) – „Karotten verwendet man im eher ‚offiziellen‘ Kontext. Von Wurzeln spricht man vor allem in der Wendung Erbsen und Wurzeln und wenn man das selbst geerntete Gemüse meint, bzw. von dem Gemüse spricht, wenn es sich noch unter der Erde befindet (Wir haben Wurzeln im Garten.)“ (GP aus Lübeck)