Einstich
pik(s)en / stechen / stupfen (Frage 4k)
Piks(er) / Stich / Stupf(er) (Frage 1m)
Die zwei hier abgebildeten Karten gehören zusammen; dass die Fragen an unterschiedlichen Stellen des Fragebogens standen, hatte den Zweck, dass die Antworten sich nicht unmittelbar beeinflussen sollten. Die Erhebung für die 13. Runde begann im Dezember 2021, also am Ende des Jahres der ersten großen Impfkampagne gegen die Corona-Pandemie. Ob der Unterschied zwischen den beiden Karten tatsächlich auf die damals in Deutschland omnipräsente Werbung für die Impfung mit dem Slogan „Nur ein kleiner Piks“ zurückzuführen ist, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit entscheiden, aber es ist recht wahrscheinlich. Allerdings wurde auch schon vor der Corona-Pandemie mit diesem Wort für Blutspenden und Impfungen geworben, auch im süddeutschen Raum (s. Belege im ZDL-Regionalkorpus des DWDS).
Die Karte für das Verb, mit dem pandemiefernen Beispiel „wenn man mit dem Finger in eine Stecknadel gerät: „Ich habe mich in den Finger ...“, zeigt piksen als dominante Variante vor allem im Norden und Nordwesten von Deutschland, besonders in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Auch noch in Nordrhein-Westfalen und in Ostbelgien überwiegt piksen gegenüber stechen, in Rheinland-Pfalz und Hessen und im Saarland sowie in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg sind beide Varianten etwa gleich häufig, um Berlin herum dominiert allerdings piksen. In Deutschland kommen südlich dieser Gebiete sowie im Nordosten auch noch piksen-Meldungen vor, sie bleiben jedoch in der Minderheit, besonders deutlich in Bayern. In Österreich und Südtirol und in der Schweiz fehlt diese Variante völlig. Die (im Süden dominierende) Alternative ist fast überall stechen, außer in Baden-Württemberg und einigen Gegenden im Elsass, in der Schweiz, in Österreich (v.a. Tirol und Kärnten, aber auch Vorarlberg) und in Südtirol, wo es (auch) stupfen heißt.
Die Karte für das Substantiv mit dem Beispiel ‚Impfung‘ zeigt dagegen in ganz Deutschland und der Nordhälfte der Schweiz Piks oder Pikser als einzige Variante (Pikser fast nur in Süddeutschland, dort im Westen dominierend; einige Pikser-Meldungen kommen auch aus Österreich). Das Substantiv Stupfer ist hiernach vor allem in Kärnten und (Nord- und Süd-)Tirol üblich, in Schwaben und Bayerisch-Schwaben nur ganz vereinzelt – während das Verb stupfen nach der oberen Karte (4k) ja auch in Baden-Württemberg sehr verbreitet ist; in Vorarlberg und der Zentralschweiz wurde gelegentlich Stupf angegeben, ebenso im Elsass. Im übrigen Österreich und im Süden der Schweiz sowie in Lothringen sagt man vor allem Stich. Nimmt man an, dass die Verteilung für das Substantiv ursprünglich dieselbe war wie für das Verb, scheint also – zumindest in der Zeit unmittelbar nach den Corona-Impfkampagnen – Piks in Deutschland und in Teilen der Schweiz massiv Stich verdrängt zu haben, und Pikser ist in Südwestdeutschland quasi an die Stelle von Stupfer getreten.
Stupfen ist mit steppen und stippen ‘eintunken’ verwandet, die weitere Herkunft ist unklar. Stechen ahd. stehhan (nl. steken) gehört dagegen zu einer ganzen Wortfamilie (stecken, sticken, Stachel usw.), die auch außerhalb des Germanischen Verwandte hat und auf eine gemeinsame Grundbedeutung ‘spitzig’ zurückgeführt werden kann (Pfeifer, Kluge).
Pi(e)ksen zeigt sich, wie gesagt, in der Karte für das Verb klar als nordwestdeutsche Variante (s.a. Hamburgisches Wb. Bd. 3 Sp. 766, Mensing 1927 Sp. 1006, Buurman Bd. 8 Sp. 76, wo pieksen als niederdeutsches Verb erscheint; zu piken s.a. RhWb Bd. 6, Sp. 833). So markiert auch Wahrig (1997) piken/piksen als „norddeutsch“. Im Duden online ist piksen nicht regional oder stilistisch markiert, piken dagegen als umgangssprachlich gekennzeichnet – bei Wiktionary ist es umgekehrt, und die Betrachtung von piksen als umgangssprachliches Synonym zu stechen ist verbreitet (s. etwa https://www.kreuzwort.net/fragen/stechen-ugs.html [25.11.23]). Die Schreibung mit <i> oder <ie> war nach Sanders (1876) schon zu dessen Zeit ein Problem und ist es bis heute geblieben (s. Duden online: „rechtschreiblich schwierig“); in der Tat lässt sich die bis heute geltende Normschreibung mit <i> – im Gegensatz etwa zu quieken – wohl nur etymologisch erklären (vgl. https://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/%E2%80%9EPiksen%E2%80%9C-oder-%E2%80%9Epieksen%E2%80%9C), was der deutschen Orthographie normalerweise fremd ist (s. etwa Eltern vs. älter oder man vs. Mann).
Die Etymologie von piksen ist einigermaßen verwickelt: Synchron dürfte ein Zusammenhang mit picken (so Duden online) oder mit Pike (so Wahrig) wohl nicht unmittelbar deutlich sein. Beides kommt als Herkunft für piksen in Frage. In dieser Form handelt es sich offenbar um ein relativ junges Verb, es fehlt – ebenso wie pi(e)ken – im DWB und bei Adelung, nur bei Sanders (²1876, S. 550f. und 1885, S. 388) ist schon pi(e)ken mit der Nebenform pi(e)ksen verzeichnet, „mit einer Pike oder etwas ähnlich Spitzem stechen (vgl. picken)“ (Sanders ²1876, S. 550f.), mit Belegen besonders aus zeitgenössischen Quellen aus dem Berliner Raum. Sanders verweist auf den Eintrag peeken ‘prickeln, oft auf eine Stelle stechen’ im Holsteinischen Idiotikon (Bd. 3 von 1802, S. 199). Nach Letzterem kommt das Substantiv Peek ‘Eisenspitze’ von diesem Verb, wahrscheinlicher ist das Umgekehrte: Schiller/Lübben führen – ohne ein entsprechendes Verb – mehrere mittelniederdeutsche Belege für das Substantiv pēk, peke ‘Pike’, frz. pique auf. Nach TLFi ist frz. pique eine Entlehnung aus dem Niederländischen (s. ebenso EWN "piek1" – mnl. pike ‘Spitze, Lanze mit eiserner Spitze’), allerdings gibt es im Frz. und in anderen romanischen Sprachen auch ein entsprechendes Verb, frz. piquer / it. piccare / span. picar ‘stechen’, das auf vulgärlat. *pīkkare zurückgeführt wird (s. TLFi piquer; REW Nr. 6495). Das deutsche Verb picken (nl. pikken), das auch als Ursprung von piken/piksen angenommen wird (Duden online; Mensing 1927; vgl. a. DWB Bd. 13, Sp. 1838: u.a. ‘mit einem spitzigen werkzeuge (picke) hacken’), ist mit diesem romanischen Verb wohl nicht verwandt (s. EWN, TLFi, REW). Eine gegenseitige Beeinflussung der germanischen und romanischen Wörter, die wohl jeweils lautmalerisch entstanden sind und sich einfach deswegen so ähneln, ist aber gut möglich (s. REW ebd., TLFi ebd., Kluge).
Diese lautmalerische Qualität hat wahrscheinlich auch wesentlich dazu beigetragen, dass Piks sich so stark verbreitet hat.
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- 27.12.2023