zum/auf den Zug

 

zum/auf den Zug (Frage 4f)

"Wenn man auf dem Weg zum Bahnhof einem Bekannten erklärt, warum man in Eile ist" (so die Erklärung der Situation im Fragebogen), nämlich weil man sonst den Zug verpasst, sagt man im größten Teil von Deutschland und von Österreich ebenso wie in Ostbelgien einhellig Ich muss zum Zug. Im südwestlichen Viertel des Sprachgebiets würde man dagegen eher sagen Ich muss auf den Zug: In der Schweiz, in Liechtenstein und in Vorarlberg wurde durchgehend diese Formulierung angeklickt, in der dialektalen Alltagssprache mit der Lautung uf (aber auch standardsprachlich, dann in der Form auf, ist diese Präposition üblich, s. VWB, ÖBW). Auf dominiert auch im größten Teil von Baden-Württemberg (vor allem im Süden). An dieses Gebiet angrenzend, in (Nord-)Tirol und Südtirol sowie im nördlichen Baden-Württemberg, im Saarland und in Lothringen stehen beide Varianten nebeneinander, und auch in Luxemburg und gelegentlich in Rheinland-Pfalz wurde noch auf den Zug angegeben.

Variation zwischen der Präpositionen zu und auf gibt es bei Richtungsangaben auch in anderen Fällen, etwa, wenn es sich um organisierte Veranstaltungen handelt: auf eine /zu einer Geburtstagsfeier, Party, Demonstration oder auf ein /zu einem Konzert gehen, oder um Institutionen: zur/auf die Bank/Realschule gehen oder einen Brief zur/auf die Post bringen. Die Verteilung der Varianten sieht zwar jeweils verschieden aus (vgl. https://www.atlas-alltagssprache.de/runde-3/f10a-b/ und https://www.atlas-alltagssprache.de/r8-f4c-b-2/), jedoch konzentrieren sich die Richtungsangaben mit auf statt zu eher auf den Süden – so auch in der Standardsprache bei auf die Post in der Standardsprache (mit Schwerpunkt in der Schweiz, s. http://mediawiki.ids-mannheim.de/VarGra/index.php/Auf_die_/_zur_Post).

Der Fall von auf den Zug lässt sich eventuell auch im Kontext von auf + Institutionen erklären. (Dass es ums Zugfahren als solches geht und nicht um einen bestimmten Zug, sieht man auch daran, dass der bestimmte Artikel den statt einen verwendet wird – obwohl der/die Angeredete ja meistens gar nicht weiß, wo man hinfahren will). Naheliegend ist auf hier aber auch deswegen, weil man früher – und teilweise auch heute noch – tatsächlich Stufen hinaufsteigen muss; ebenerdiges Einsteigen ist bei Bahnen noch nicht sehr lange möglich. (So werden z.B. in romanischen Sprachen für '[in den Zug] einsteigen' dieselben Verben verwendet wir für '[einen Berg. o.ä.] hinaufsteigen'.) Auch in Bezug auf andere Verkehrsmittel, die ein „Hochsteigen“ erforderlich machen, ist auf üblich, vgl. auf das Fahrrad/Motorrad/Pferd steigen; als mit Wagen noch eine (Post-)kutsche gemeint war, hieß es auch hierfür oft auf den Wagen steigen.

Des Satz Ich muss zum/auf den Zug weist übrigens eine Besonderheit auf, die das Deutsche und Niederländische von anderen germanischen (wie romanischen) Sprachen unterscheidet: Muss kann direkt mit der Angabe eines räumlichen Ziels verbunden werden und bedeutet dann, dass die Bewegung dahin notwendig ist – ohne dass ein Verb wie gehen, fahren o. ä. hinzukommen muss. Dies ist (jedenfalls alltagssprachlich) genauso mit anderen Modalverben möglich, wie z.B. in Wir wollen im Sommer ans Meer, Hunde dürfen nicht in den Supermarkt oder Die Lampe soll ins Arbeitszimmer.