Brötchen/Semmel

Sowohl für den 2. Band des WDU (II-59), der 1978 erschien, als auch in einer 2002 durchgeführten Pilotstudie wurde nach Ausdrücken „für kleine, zum Frühstück gegessene Weizenbrötchen“ gefragt. Die Fragestellung erwies sich als zu unspezifisch, da regional insbesondere für unterschiedliche Formen unterschiedliche Bezeichnungen üblich sein können bzw. manche Formen dieser kleinen Brote gar nicht überall verbreitet sind (vgl. WDU II, S. 13f.). Im Fragebogen der vorliegenden Erhebungsrunde war deshalb nicht nur nach dem Wort für die „meist zum Frühstück gegessene kleine Backware aus Weizenmehl“ gefragt, sondern es wurden auch drei Abbildungen beigefügt.

 

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Brötchen/Semmel/Weckli/... (länglich) (Frage 1h)

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Foto: Michael Mertes / pixelio.de

Das erste Bild zeigte kleine längliche Brote mit einer längs verlaufenden Einkerbung. Diese werden in Österreich und Südtirol offenbar kaum angeboten, sodass die meisten Gewährsleute meldeten, dass es sie „am Ort so nicht“ gebe. Wenn sie dort aber doch bezeichnet wurden, dann entweder als Semme(r)l oder als Weckerl. Semmel wird diese Backware auch in den meisten Gebieten Bayerns sowie zum Teil auch in Sachsen und Thüringen genannt. In Oberfranken heißt sie auch Laabla; nur noch ganz vereinzelt wurden aus Franken noch Brötla und Kipf genannt. Aus den östlichen und südöstlichen Kantonen der Schweiz sowie aus Vorarlberg wurde überwiegend Brötli gemeldet, aus den anderen Gebieten der Schweiz vor allem Mütschli, daneben aber auch Weggli;  allerdings zeigt schon die Suche auf verschiedenen Internetseiten, dass diese beiden Wörter für zum Teil noch weiter unterschiedene Backwaren gebraucht werden (vgl. auch Elspaß 2005, 8, Anm. 16). In Schwaben (ohne Bayerisch-Schwaben – auffällig ist hier die Übereinstimmung mit der Ländergrenze), Baden und im Elsass wurde dagegen fast einheitlich die Bezeichnung Weckle (oder Weckerle) gemeldet, aus den nördlich daran angrenzenden Gebieten in Lothringen, im Saarland, in der Pfalz und zum Teil in Unterfranken und Südhessen das Wort ohne Diminutiv, also (der) Weck. In Luxemburg, in Ostbelgien sowie im ganzen Westen und Norden (nördlich der genannten Weck- und Semmel-Gebiete) ist das Wort Brötchen verbreitet. Nur in Berlin und im Norden Brandenburgs ist das Wort Schrippe gebräuchlich.

Während Brot/Brötchen und Weck (ahd. weggi ‘Keil’) gemeingermanische Wörter sind, handelt es sich bei Semmel um ein Lehnwort aus dem Lateinischen (simila), in das es aus dem Griechischen und dahin wiederum aus orientalischen Sprachen entlehnt wurde; in all diesen Sprachen bedeutete es ‘feines Mehl’ (Pfeifer). Schrippe ist ursprünglich die Bezeichnung für ‘Weißbrot mit aufgerissener Rinde’ und leitet sich von einer niederdt. Form des fnhd. noch belegten Verbs schripfen ab, das ‘(mit dem Messer) kratzen, aufkratzen, abstutzen’ bedeutet (Pfeifer).

 

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Brötchen/Semmel/Weckli/... (rund) (Frage 1i)

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Foto: Peter Smola / pixelio.de

Die auf dem zweiten Foto abgebildete rundliche Form des kleinen Brots (mit fünf von der Mitte in einem Bogen nach außen verlaufende Einkerbungen) ist vor allem in Österreich und Bayern verbreitet. Die Unterschiede zur Karte mit den Bezeichnungen für das eher längliche Brot betreffen vor allem den Bekanntheitsgrad: Während nun – erwartungsgemäß – Meldungen aus ganz Österreich und Südtirol zu verzeichnen sind, die einheitlich Semme(r)l als ortsübliches Wort angeben, wird aus den meisten Orten der Schweiz und auch aus Luxemburg sowie einigen Orten Deutschlands nördlich der Main-Linie gemeldet, dass es diese Form der Backware „am Ort so nicht“ gebe. Dort, wo die Gewährsleute eine Benennung angaben, war diese überwiegend dieselbe wie für das längliche kleine Brot. Auffällig sind aber zwei Dinge: In den östlichen und südlichen Gebieten der Schweiz gibt es für beide Formen das Wort Brötli, während die runde Form kaum je als Mütschli bezeichnet wurde; diese scheint auf die längliche Form beschränkt zu sein. Ebenso ist der Gebrauch von Schrippe in Berlin und Brandenburg offenbar für das dort übliche kleine längliche Brot reserviert.

 

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Mohnbrötchen/-semmel/-weckerl/... (Frage 1j)

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Foto: siepmannH / pixelio.de

Das Sortiment der Bäckereien im Bereich kleiner Brote ist in den letzten Jahrzehnten vor allem um Sorten erweitert worden, bei denen die Brote mit Mohn- und Sesamkörnern, Sonnenblumen- und Kürbiskernen u. a. bestreut sind. Wir fragten exemplarisch nach Bezeichnungen in Zusammensetzungen mit dem Erstbestandteil Mohn-. In Deutschland gibt es wenig Unterschiede zur Karte 1. i) („Brötchen/Semmel/Weck/… (rund)“); allerdings gibt es gerade in den Übergangsgebieten zwischen Brötchen und Semmel in Thüringen und Sachsen sowie zwischen Brötchen und Weck in der Pfalz, in Hessen und Unterfranken mehr Belege für -brötchen als in den anderen beiden Karten. Möglicherweise breitet sich also das eher ,norddeutsche‘ Wort Brötchen stärker in Zusammensetzungen als über die Bezeichnung für die ,puristische‘ Form der Backware in Richtung Süddeutschland aus. In der Schweiz geht das Bestimmungswort Mohn- am ehesten mit Brötli zusammen, im Süden vereinzelt auch mit Weggli. In Österreich wird in solchen Zusammensetzungen  Weckerl (oder auch Weck(er)le) präferiert, nur in Vorarlberg und auch in Oberösterreich wird – wie in Südtirol – auch Semmel für solche Zusammensetzungen verwendet.

Auch wenn die Fragestellungen in den beiden vorgenannten Erhebungen ungenauer waren als in der jetzigen Fragerunde, so lassen sich doch im Vergleich zwei wichtige Veränderungen festhalten: So sind kleinräumige Varianten wie das norddeutsche Rundstück, die vorwiegend in Berlin-Brandenburg verbreitete Schrippe sowie die fränkischen Formen Kipfl und Laabla stark zurückgegangen. Das zeigte schon die Pilotstudie von 2002. Besonders deutlich wird die Entwicklung am Beispiel Rundstück: Schon im WDU (II-59) war das Wort in den Orten im hohen Norden, aus denen es gemeldet wurde, meist nur als Nebenvariante genannt. 2002 wurde es nur noch aus drei Orten genannt. Und in der jetzigen Erhebung machen die (wenigen) Nennungen nirgends mehr als 35% aller Nennungen am Ort aus, so dass das Wort auf den Karten gar nicht mehr auftaucht. Die zweite wichtige Veränderung ist, dass das Wort Brötchen sich allmählich weiter nach Süden ausbreitet. Das ist besonders auffällig in Ostdeutschland: Während die WDU-Karte von 1978 noch im gesamten Süden der damaligen DDR eine Verwendung von Semmel (auch hier meist als Nebenvariante) ausweist, ist diese Variante – bis auf das Gebiet Sachsens und den Süden Thüringens – weitgehend außer Gebrauch gekommen. Die Menschen sagen dort jetzt auch zumeist Brötchen.