Räuberleiter

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Räuberleiter (Frage 3a)

Gefragt war nach einer Bezeichnung für die „Hilfestellung, mit der eine Person eine andere so hochhebt, dass sie z. B. über einen Zaun oder eine Mauer schauen kann“. Diese Fragestellung war eigentlich nicht ganz präzise, denn wichtig ist bei dieser Hilfestellung, dass eine Person die Hände so fest ineinander verschränkt, dass eine andere Person mit einem Fuß (oder auch beiden) in diese – wie in einen Steigbügel – treten und sich hochschwingen kann. Die unten stehende Person ,hebt‘ die obere also eigentlich nicht, sondern ,hält‘ sie im Wesentlichen nur  (hierfür würde man allerdings im Südwesten des deutschen Sprachgebiets auch sagen: Sie ,hebt‘ die andere Person, vgl. die entsprechende AdA-Karte. Auf der beigefügten Abbildung waren zwei Kinder zu sehen, von denen das eine die Hilfestellung bietet, damit das andere weiter oben durch einen Zaun sehen kann. Fast im gesamten deutschen Sprachgebiet sagt man zu dieser Form der Hilfestellung Räuberleiter. Nur in Lothringen und im Elsaß scheint diese Bezeichnung ungebräuchlich zu sein: Aus Lothringen wurde dazu nur ein französischer Ausdruck genannt (courte échelle, also wörtlich ‘kurze Leiter’), aus dem Elsaß die dialektale Bezeichnung Làttaticket (mit Leiter- als Bestimmungswort). Das Bestimmungswort des Ausdrucks Räuberleiter, also Räuber-, soll ganz offensichtlich darauf hindeuten, dass sein Ursprung in der Praxis von ,Räubern‘ – gemeint sind wohl vor allem Einbrecher – gesehen wird, die diese anwenden, um bei Einbrüchen niedrige Mauern oder Zäune überwinden oder höhergelegene Fenster erreichen zu können. Auf eine solche Wortherkunft weist auch die Bezeichnung Spitzbubenleiter (Spitzbube war bzw. ist eine verbreitete Bezeichnung für einen ‘schlauen Betrüger’ oder ‘Dieb’, s. DWB XVI, 2576) hin, die vor allem im Südwesten Deutschlands an vielen Orten üblich ist (z. T. neben Räuberleiter), sowie auch die Variante Bubenleiterli, die aus Baden-Württemberg (da aber nie als häufigstes oder zweithäufigstes Wort) und aus der Schweiz gemeldet wurde (auch Bube allein hat eine Bedeutungsvariante ‘Schurke, Verbrecher’ entwickelt, s. DWB II, 460, vgl. noch Bubenstück 'üble Tat, Schurkerei'). Daneben gibt es vereinzelt Bezeichnungen, die weniger an kriminelle, sondern an harmlose Praktiken denken lassen. Diese weiteren Bezeichnungen sind relativ weit verbreitet, tauchen auf der Karte aber kaum auf, weil Räuberleiter an den meisten Orten die eindeutig dominante Variante ist: In der Mitte und im Süden des deutschen Sprachgebiets, besonders aber in Baden ist auch der Ausdruck Baumleiter gebräuchlich; vereinzelt gibt es daneben Hühnerleiter (im Norden Deutschlands, aber – außer im Südharz – auch da nie als häufigste oder zweithäufigste Variante); vor allem in der Schweiz sagt man oft auch nur Leiterli.