Politik (Vokalquantität)

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Lang- oder Kurzvokal in der letzten Silbe von Politik (Frage 9g)

Bei Lehnwörtern und Lehnwortbildungen, die auf -ik enden (von lat. -ica / griech. -ikē als Endung von spezifizierenden Adjektiven zu ars / téchnē ‘Kunst, Wissenschaft’), liegt der Akzent in den meisten Fällen auf der Silbe davor, wie im Lateinischen, und das i in -ik ist kurz (etwa bei Grammatik, 11. Jh., aus lat. ars grammatica < griech. grammatikē téchnē, ebenso bei neuen Fachwörtern nach diesem Modell, wie Informatik oder Kybernetik). Auch neuere Entlehnungen von solchen Wörtern aus dem Französischen bzw. auf dem Weg über das Französische, wie Informatik (20. Jh.) oder Keramik (19. Jh.), werden an dieses Muster angepasst, trotz der Endbetonung (informatíque) im Französischen.

Im 17./18. Jh. war dagegen der französische Einfluss auf das Deutsche stärker, Entlehnungen mit Endbetonung häufig, sodass in dieser Zeit auch Lehnwörter auf -ik auf der letzten Silbe betont wurden. Das gilt natürlich vor allem für Wörter, die in dieser Zeit aus dem Französischen entlehnt wurden, wie Fabrik, Kritik, Republik oder Politik. Aber selbst bei einigen älteren Lehnwörtern wie Musik oder Mathematik hat sich diese Betonung nach französischem Vorbild durchgesetzt, allerdings nicht sofort und überall, vgl. DWB Bd. 12, Sp. 2740 : „betont wurde bei den Oberdeutschen músik ... wie heute noch, bei dichtern, die der mundart nachgeben oder alterthümeln ..., in Mittel- und Norddeutschland aber betonte man schon im 17. jh. musík auf romanische art (franz. musique), wie jetzt durchgängig“.

Für die Betonung von (älteren) Lehnwörtern im Deutschen wird häufig als Regel formuliert, dass der Hauptton auf der letzten schweren Silbe (Langvokal/Diphthong oder Kurzvokal + 2 Konsonanten) liegt. Die Angaben zur Vokallänge in den Aussprachewörterbüchern entsprechen dem: Bei den endbetonten Wörtern auf -ik wird langes i angesetzt  (z. B. in Fabrik, Physik, Republik, Mathematik), bei Kolik entweder Betonung auf der ersten Silbe und kurzes i oder Betonung auf der zweiten Silbe und langes i. Bei Politik und Kritik führt das DAW immerhin als Nebenformen auch die mit Kurzvokal auf, während das Duden-Aussprachewörterbuch bei Politik nur Langvokal kennt.

Diese Kopplung von Endbetonung und Langvokal bei -ik entspricht jedoch im überwiegenden Teil des Sprachgebiets nicht der Realität. Nach den Antworten auf unsere Frage beschränkt sich die Form mit langem i in der Alltagssprache auf Norddeutschland (Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin-Brandenburg) und – weniger klar – Österreich ohne Tirol. Auch in diesen Gebieten kommen aber Kurzvokal-Meldungen vor, und im übrigen Sprachgebiet wurde ausnahmslos kurz angeklickt.

Die Karte in König 1989 Bd. 2 S. 161 zeigt für die alte Bundesrepublik dasselbe Bild, demnach gilt diese Verteilung nicht nur für die Alltagssprache, sondern auch für die Leseaussprache.