(auf-) halten/heben
halten/heben, aufhalten/aufheben (Fragen 4l + 4m)
In Fällen wie diesem sind Missverständnisse vorprogrammiert, wenn nämlich gleiche Wörter in verschiedenen Regionen unterschiedliche Bedeutung haben. Auch außerhalb des Südwestens des Sprachgebiets existiert das Verb heben, und zwar in den Bedeutungen ‚nach oben, in die Höhe bewegen‘ (z.B: die Hand heben) / ‚aus der Tiefe heraufholen, bergen; von unten zutage fördern‘ (ein Schiffswrack heben) / (reflexiv) ‚in die Höhe gehen‘ (Der Vorhang hebt sich.) (s. Duden online).
Dieses Verb heben, ahd. heffen (das spätere b erklärt sich durch Angleichung an das Präteritum huob), ist wie haben mit lat. capere ‚nehmen, fassen, ergreifen‘ verwandt (vgl. a. kapieren ‚mit dem Verstand erfassen‘), ebenso wie nl. heffen und hebben und engl. to heave und to have. Zugrunde liegt die ie. Wurzel *kap- ‚fassen‘; man erkennt noch gut den Zusammenhang zwischen dieser alten Grundbedeutung und der Verwendung im Sinn von ‚halten, festhalten‘, die im ganzen Südwesten des Sprachgebiets und nach Osten bis Tirol noch üblich ist (s.a. https://www.atlas-alltagssprache.de/runde-4/f17/ halten/heben - heben ‚(fest-)halten‘ erscheint dort im selben Raum wie heben in der vorliegenden Karte). Auch in der Kombination mit der Partikel auf- wird heben im Südwesten noch in diesem Sinn verwendet: ‚halten, sodass etwas auf (offen) bleibt‘ (s. die untere Karte, 4m).
Die gemeinsprachliche Bedeutung ‚nach oben bewegen‘ hat sich dann wohl zunächst über hinzugesetzte Richtungsangaben wie in die Höhe, gen Himmel entwickelt (vgl. DWB Bd. 10; Sp. 723). Eine andere Weiterentwicklung der Verwendung scheint dagegen vor allem süd(west)deutsch zu sein, nämlich etwas heben im Sinn von ‚etwas aushalten‘ und weiter zu intransitivem heben ‚(aus)halten, intakt bleiben‘ – wie in unserem Beispiel (obere Karte, 4l): Wenn man gerade bei einer Tasse den abgebrochenen Henkel angeklebt hat, der sich aber gleich wieder löst, sagt man Des hebt net.
Im übrigen Sprachgebiet verwendet man in all diesen Fällen halten. (Ein ähnlicher Fall von zwei Verben, die sich über verschiedene Verwendungsweisen und Kombinationen mit Partikeln hin entsprechen, ist der von nehmen und holen, vgl. https://www.atlas-alltagssprache.de/nehmen/ ).
Die Bedeutung von halten (ahd. haltan, nl. houden, engl. hold, schwed. halla) ist ursprünglich ‚(Vieh) hüten, schützen, bewahren‘, von da aus entwickelte sich der Gebrauch im Sinn von ‚(fest-)halten‘ und ‚(an-)halten, in einem Zustand verharren‘ (Kluge, Pfeifer).
Vergleicht man die Karten zu den verschiedenen Verwendungsweisen, zeigt sich, dass im Fall der Bedeutung ‚standhalten‘ (Tassen-Beispiel, obere Karte 4l) in einem kompakten Gebiet von der südlichen Pfalz über ganz Baden-Württemberg und die ganze Schweiz bis hin nach Bayerisch-Schwaben, Oberbayern, Nord- und Südtirol und den Westen von Salzburg und Kärnten einhellig hebt angegeben wurde (ein paar abweichende Meldungen nur im Münchner Raum), im restlichen Sprachgebiet einhellig hält. Die Karte halten/heben aus der vierten Erhebungsrunde (https://www.atlas-alltagssprache.de/runde-4/f17/) zeigt sich so ähnlich, allerdings gehört hier Oberbayern eher zum halten-Gebiet. Bei (die Tür) aufhalten/aufheben (untere Karte 4m) ist dieses Areal im Umriss zwar auch noch so ähnlich erkennbar, aber an den Rändern teilweise etwas verkleinert - in Oberbayern erscheint hier nur aufhalten und in Bayerisch-Schwaben stehen beide nebeneinander; ebenso ist aufheben in der Pfalz und im Norden von Baden-Württemberg zumeist nur noch Zweitvariante. Und auch im restlichen aufheben-Areal kommen überall aufhalten-Meldungen vor (am wenigsten in der Schweiz, in Vorarlberg und in Südtirol). Eine Erklärung für den Unterschied könnte sein, dass intransitives heben (obere Karte) im übrigen Gebiet nicht existiert, transitives aufheben dagegen in anderer Bedeutung üblich ist, in diesem Fall also Missverständnisse eher zu erwarten sind.
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- 17.12.2023