Schreiner/Tischler

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Schreiner/Tischler (Frage 5f)

Für den Holzhandwerker, der Möbel herstellt, gibt es heute zwei weit verbreitete Bezeichnungen. Tischler – in mittelhochdeutscher Zeit noch Tischer (Kluge) – wird im Norden und Osten Deutschlands, in ganz Österreich mit Ausnahme der grenznahen Gebiete im Süden und Westen Vorarlbergs und in Südtirol verwendet. Die Bezeichnung Schreiner (mundartlich auch Schriener) hingegen ist vor allem in Süddeutschland, im Westen Deutschlands und in der Schweiz gebräuchlich. Wie Tischler geht auch sie auf den Namen eines Möbelstücks zurück, nämlich auf Schrein, das als mhd. schrîn Möbelstücke wie eine Kommode oder eine Truhe bezeichnen konnte (vgl. König et al. 2015, S. 195). In althochdeutscher Zeit fiel die Herstellung von Möbeln noch in den Aufgabenbereich der Zimmerleute (ahd. zimbar ‘Bauholz’) (vgl. König et al. 2015, S. 195). Darauf verweist die niederdeutsche Variante Timmermann, die aus der Grafschaft Bentheim gemeldet wurde. Die Bezeichnung Zimmermann oder Zimmerer wird im heutigen Deutsch allerdings eher für den Berufsstand verwendet, der Bauwerksteile, vor allem Dachstühle, herstellt.

Durch den Blickwinkel verschiedener Autoren bedingt ist, dass Tischler einmal als „ostd. Bezeichnung“ (Pfeifer, S. 1434) und einmal als eine „echt österreichische Bezeichnung“ bezeichnet wird, die sich im 15. Jahrhundert von Wien ausgehend allmählich ausgebreitet habe – im oberösterreichischen Innviertel erst, als dieses im 19. Jahrhundert zu Österreich gelangte, in Westtirol und in Teilen Vorarlbergs dann schließlich im 20. Jahrhundert (vgl. Wiesinger 32014, S. 143f.). In Österreich ist Tischler seit der Zeit Maria Theresias auch die amtliche Bezeichnung. In der Bundesrepublik Deutschland wurde Tischler mit der Handwerksordnung von 1953 und Handwerkrechtsnovelle von 1965 die amtliche Bezeichnung; Schreiner gilt seither – übrigens gegen den erklärten Widerstand süddeutscher Bundestagsabgeordneter – als „mundartliche“ Bezeichnung (Besch 1972, S. 1003f. u. S. 1013). Auf den Sprachgebrauch in der Alltagssprache in Deutschland scheint diese amtliche Festlegung jedoch relativ wenig Einfluss gehabt zu haben, denn sonst würden sich dort nicht bis heute zwei etwa gleich große Sprachgebrauchsräume gegenüberstehen.

Sieht man einmal von Nordrhein-Westfalen ab, so fallen die Grenzen des Gebrauchs von Tischler vs. Schreiner heute im Wesentlichen mit politischen Grenzen zusammen. Besonders scharf ist diese zwischen Deutschland und Österreich. Das war in den Dialekten nicht so – da zog sich die Grenze in Deutschland von der Ems-Mündung fast quer durchs Land bis Passau, und in Österreich trennte sie das alemannische vom bairischen Mundartgebiet (s. die Karte in König et al. 2015, S. 195). Vergleicht man die aktuelle Karte mit der Karte des Wortatlas der deutschen Umgangssprachen (WDU I 20), die auf Befragungen in den 1970er Jahren zurückgeht, zeigen sich zwei Veränderungen: In Westfalen breitet sich, von Norden kommend, die Bezeichnung Tischler aus, in Thüringen dagegen, von Westen her, die Bezeichnung Schreiner; auch im Westen Brandenburgs scheint Schreiner üblich zu werden.

Die Geschichte der Varianten Tischler und Schreiner spiegelt sich auch in der Verteilung der Nachnamen, die auf diese Berufsbezeichnungen zurückgehen (vgl. Kunze 2003, S. 121): Im Nordosten Deutschlands ist eher der Name Tisch(l)er verbreitet, im Westen eher Schreiner. In der Schweiz gibt es den Familiennamen Schreiner etwa vier Mal häufiger als den Namen Tischler (lt. http://www.verwandt.ch/karten/). In Österreich dagegen sind Schreiner und Tischler etwa gleich häufig; die Berufsbezeichnung Schreiner ist dort in Familiennamen eingegangen, noch bevor sie in der Neuzeit von Tisch(l)er verdrängt wurde.