Scheibe/Rad/Blatt Wurst


Scheibe/Rad/Blatt Wurst (Frage 5g)
Die Frage lautete, wie man an einem bestimmten Ort „für ein dünnes Stück eines Aufschnitts von Wurst“ sagt, also das, womit man z.B. sein Brot belegt. In den meisten Regionen, von Schleswig-Holstein bis Südtirol, wird hierfür vor allem die Bezeichnung Scheibe verwendet; in Deutschland ist dies fast überall, außer in Baden-Württemberg und in Teilen von Bayern, der einzige übliche Ausdruck, ebenso in Ostbelgien.
Das Wort Scheibe ist schon im Althochdeutschen belegt (skība ‘Scheibe, Rolle, Walze’) und existiert in derselben Bedeutung wie im Deutschen auch in anderen germanischen Sprachen (niederländisch schijf, schwedisch skiva). Es lässt sich auf eine indoeuropäische Wurzel *skē̌i- ‘schneiden, trennen, scheiden’ zurückführen, zu der u.a. auch scheiden und Scheitel (und scheißen und Schädel) gehören (Pfeifer). "Aus den frühen Bedeutungen geht hervor, daß Scheibe zunächst einen runden, rollenden, wohl vom Baumstamm abgeschnittenen Körper bezeichnet." (ebd.). Die (wohl jüngere, vgl. DWB, Lexer) Verwendung für eine Scheibe Wurst oder Brot passt immer noch gut zu der ursprünglichen Idee des Abgeschnittenen; das Rollen war allerdings für das Konzept offenbar zunächst wichtiger als heute, so konnte schîbe im Mittelhochdeutschen auch noch 'Kugel' bedeuten (s. Lexer).
Ganz klar hebt sich der Gebrauch in Schwaben (inklusive Bayerisch Schwaben) vom übrigen Deutschland ab: Hier, ebenso wie in Vorarlberg und stellenweise auch in Baden, legt man sich ein Rädle Wurst aufs Brot bzw. aufs Weckle (s. https://www.atlas-alltagssprache.de/brotchen/). Während die schwäbischen InformantInnen sich darin ganz einig sind, wurde südlich anschließend in der Schweiz sowohl Scheibe als auch Rädli angegeben. Die dazugehörige nicht verkleinerte Form Rad schließlich wurde auch einige Male gemeldet, und zwar – räumlich getrennt von dem südwestlichen Rädle-/Rädli-Gebiet – in Niederbayern und in Ober- und Niederösterreich.
Diese Bezeichnungen erklären sich metaphorisch über die flache runde Form, ähnlich wie bei Käserad – Letzteres lässt sich allerdings auch noch rollen wie ein Rad; möglicherweise ging die Bezeichnung Rädle/Rädli/Rad Wurst zunächst auch von breiteren ('rollfähigen') Scheiben dünner Hartwürste aus.
Während im alemannischen Vorarlberg Rädle üblich ist und im Osten in Wien und Umgebung Scheibe dominiert, ist der übliche Ausdruck für ein Stück Aufschnitt im größten Teil Österreichs dagegen Blatt. Besonders einhellig wurde dies von den InformantInnen in Tirol, in Kärnten und in der Steiermark angegeben. Blatt ist mit Blume und blühen verwandt, von der Bedeutung '(durch Chlorophyll gefärbter) Teil einer Pflanze' wurde die Bezeichnung aber schon in althochdeutscher Zeit auch auf die ebenso flachen und biegsamen Blätter aus Pergament und später Papier übertragen, und im Weiteren auf diverse flache, dünne Gegenstände, wie zum Beispiel bei Sägeblatt oder Ruderblatt (Pfeifer) – oder eben bei Blatt Wurst.
[Mitarbeit: Malenka Neycken]
- [Impressum]
- [Datenschutz]
- 12.08.2024