possessives Attribut
possessives Attribut (Frage 2f)
Ein Besitzverhältnis – genauer: das Verhältnis zwischen einem menschlichen Besitzer oder einer menschlichen Besitzerin und der Sache, die er oder sie besitzt – kann im Deutschen durch verschiedene syntaktische Konstruktionen ausgedrückt haben. In unserem Beispiel ist Anna die Besitzerin (Possessor), und die Sache, die sie besitzt, der Schlüssel (Possessum).
Eine alte Konstruktion ist die Besitzangabe mit einem possessiven Genitiv. Wenn der/die Besitzer/in mit einem Eigennamen angegeben ist, wird dieser Name mit der Genitivendung -s versehen und in der Regel vorangestellt. Auch Frauennamen können dabei ein Genitiv-s erhalten – hier: Annas Schlüssel –, während feminine Substantive (Gattungsnamen) endungslos sind und nachgestellt werden, z.B. der Schlüssel der Frau. Solche Genitivkonstruktionen wurden fast flächendeckend aus dem Norden des deutschen Sprachgebiets als ortsüblich gemeldet.
Sprachgeschichtlich jünger sind die anderen Konstruktionen, das von-Attribut und das possessive Dativattribut.
Beim von-Attribut wird die besitzende Person dem Possessum nachgestellt und mit von eingeleitet. Wenn der Possessor – wie in unserem Beispiel – aus einem Vornamen besteht, kann dieser in der Alltagssprache mit bestimmtem oder ohne bestimmten Artikel stehen: der Schlüssel von Anna oder der Schlüssel von der Anna. Die Verteilung dieser beiden Varianten des von-Attributs entsprechen in der Tendenz der Nord-Süd-Verteilung der Formen mit bestimmtem bzw. ohne bestimmten Artikel vom Vornamen (s. AdA-Karte Rd. 9, 2a/b, https://www.atlas-alltagssprache.de/artikelvorname/); nur liegt die – wenn auch unscharfe – Trennlinie hier deutlich weiter südlich: der Schlüssel von Anna sagt man im Norden (wenn auch viel seltener als Annas Schlüssel!) sowie in Ostbelgien, der Schlüssel von der Anna wurde – je nach Region mehr oder weniger häufig – aus fast dem gesamten Südteil des deutschsprachigen Gebiets gemeldet, aus Kärnten und der Deutschschweiz sehr häufig (vgl. die Karte Der Hund des Lehrers im SADS Online (https://dialektsyntax.linguistik.uzh.ch/karte.html#2-30), und im Westen Österreichs (Vorarlberg und Tirol) und in Südtirol liegen fast nur Meldungen für diese Konstruktion vor.
Beim possessiven Dativattribut ist – wie beim possessiven Genitiv – der Possessor vorangestellt und steht im Dativ; darauf folgt ein im Genus passendes Possessivpronomen und darauf das Possessum (hier: der Schlüssel). Am üblichsten ist dabei die Form der Anna ihr Schlüssel; im südlichen Teil des deutschsprachigen Gebiets ist das die meist überwiegende syntaktische Variante der Besitzanzeige – außer eben in Südtirol und im westlichen Teil Österreichs (für Österreich vgl. Bülow, Vergeiner & Elspaß 2022). Nur im Südwesten, vor allem in Luxemburg, im linksrheinischen Westmitteldeutschen (mit Ausläufern nach Nordhessen) sowie im Elsass und in Lothringen, werden in der Alltagssprache bis heute weibliche Vornamen häufig noch mit einem Artikel im Neutrum versehen (vgl. AdA-Karte Rd. 9, 2a/b, https://www.atlas-alltagssprache.de/artikelvorname/); dementsprechend heißt es (d)em Anna sein Schlüssel oder – seltener (in der Deutschschweiz) – (d)em Anna sis Schlüssel (vgl. auch SASD Online).
Von dieser Vielfalt an unterschiedlichen Konstruktionen werden nur zwei zum Standarddeutschen gezählt, nämlich der possessive Genitiv und die Präpositionalgruppe mit von; der possessive Dativ war in der älteren deutschen Schriftsprache recht üblich, gilt aber heute „der gesprochenen und informellen Sprache“ zugehörig (Duden-Zweifelsfälle 2021: 380f.).
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- 01.08.2024