s-pitzer S-tein (Aussprache)

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Aussprache als s- oder sch-Laut: s-pitzer S-tein (Frage 10)

Im Mittelhochdeutschen gab es am Wortanfang noch die Kombination von s (gesprochen s) mit anderen Konsonanten (etwa in swîn statt Schwein oder slâfen statt schlafen). Im Frühneuhochdeutschen hat sich s in dieser Position generell zu sch entwickelt. Vor l, m, n und w hat sich dies auch in der Schreibung niedergeschlagen, nicht jedoch vor p und t, sodass seither eine Sonderregel für die Aussprache der Buchstabenkombinationen sp und st gilt. Vorteil dieser Ausnahme ist, dass Buchstabenkombinationen wie schtr (Strumpf) am Silbenanfang vermieden werden (s. Duden-Grammatik 2009, 84) – ein Problem, das sich nur bei sp- und st- stellt, weil nur danach noch ein weiterer Konsonant folgen kann (anders als etwa bei schl- oder schn-). Mit dieser Sonderregel erklärt sich aber auch die verbreitete Unsicherheit hinsichtlich der Aussprache von Lehnwörtern mit Sp- bzw. St- im Anlaut: Man sieht Wörtern wie Stil, Stola, Star oder Sponsor nicht an, ob sie in der Lautung an die normalen Regularitäten des Deutschen angepasst sind (wie Streik < engl. strike, studieren, Storno oder Sport und Spion) oder eher nicht (wie Strip, stoisch, Stigma oder Spray) – das Deutsche Aussprachewörterbuch (DAW) führt übrigens in der großen Mehrheit dieser Fälle (z. B. bei Stil, Stola, Star und Sponsor) beide Aussprachen auf.

Im Niederdeutschen, wie auch in den anderen germanischen Sprachen, hat der Wandel von s (vor Konsonant) zu sch im Prinzip nicht stattgefunden (außer im Brandenburgischen; teilweise wird allerdings auch andernorts schon seit dem 19. Jahrhundert eine Anpassung an das Hochdeutsche sch verzeichnet, besonders in Mecklenburg-Vorpommern und Westfalen, vgl. z.B. Gernentz 1980, 127, Schleef 1967, XX oder die DiWA-Karte 355 schlafen).

In der besonders an der Schrift orientierten Aussprache des Hochdeutschen im Norden Deutschlands (Hamburg, Hannover) hat sich so in den Kombinationen st- und sp- zunächst die s-Aussprache gehalten. Dass die Norddeutschen „über den s-pitzen S-tein s-tolpern“ wurde zum Stereotyp – etwa der Hamburger Helmut Schmidt ist noch dafür bekannt. Schon vor 15 Jahren ließ eine Untersuchung in Hamburg jedoch das Aussterben dieses Merkmals vorhersehen (Auer 1998, 190); während die s-Aussprache bei den damals über 70-Jährigen noch die Regel war, kam sie bei den damals unter 50-Jährigen praktisch schon nicht mehr vor.

Unsere Frage war bewusst auf die Vergangenheit gerichtet („Kennen Sie (noch) Leute an Ihrem Ort, die das s- in s-pitz und S-tein nicht wie den ersten Laut in Sch-al aussprechen, sondern wie in Wes-pe oder Hus-ten?“), um noch zu erfassen, welche Verbreitung dieses „norddeutsche“ Merkmal gehabt hat.

 Deutlich ist eine Konzentration auf das Gebiet zwischen Schleswig-Holstein und dem Raum Hannover zu erkennen. Dies entspricht der Tatsache, dass die sch-Aussprache sich besonders im Nordosten sowie in Westfalen und im Westen von Niedersachsen auch in den Dialekten schon um 1900 ausgebreitet hatte, wie die DiWA-Karte zeigt. So haben auch für die Alltagssprache im Westen und Osten des niederdeutschen Raums die meisten Informanten angeklickt: „Nein, so spricht bei uns niemand, und man hat das bei uns noch nie so ausgesprochen“ (niemand), wie auch überall in den südlicheren Regionen. Von Niedersachsen östlich der Weser bis Schleswig-Holstein überwiegt dagegen die Meldung „Ja, das haben bei uns früher die Älteren so ausgesprochen, heute nur noch wenige ältere Leute“ (früher), und in dem Gebiet zwischen Weser  und Ostseeküste wurde auch vielfach angeklickt, dass diese Aussprache bei Älteren auch heute noch oft vorkommt ((heute noch) Ältere). Dagegen trifft „das sprechen auch heute noch viele so aus“ offenbar nirgends mehr zu.