laut weinen

10_03b

"Das Kind heult/plärrt/brüllt ..." (Frage 3b)

Im Fragebogen wurde ein Bild gezeigt, auf dem ein Kleinkind mit offenstehendem Mund und mit nach unten verzogenen Mundwinkeln weint. Es wurde recht allgemein danach gefragt, was „das Kind auf dem Bild macht“. Die zur Auswahl vorgeschlagenen Ausdrücke „Das Kind greint / heult / brüllt / brüelt / flennt / plärrt / weint.“ legten nahe, dass es sich um ein einigermaßen lautes Weinen handelte. So wurde es wohl auch von unseren Gewährsleuten verstanden, denn das neutrale Verb weinen wurde relativ selten gewählt. (Weinen war ursprünglich – den germanischen Vorläufern nach zu urteilen, wo es i. S. von ‘Weh rufen / schreien’ zu verstehen war – ebenfalls mit einer gewissen Lautstärke verbunden, wurde aber später in den Mundarten „durch sinnkräftigere wörter ersetzt“, so DWB XXVIII, 879.) Außer in einigen kleineren Regionen (Ostbelgien, Niederrhein, Harz, Teile Altbayerns, Oberösterreich und Wien) ist weinen nirgendwo die am häufigsten gemeldet Variante. Als „sinnkräftigere Wörter“ können die anderen Varianten gesehen werden, die jeweils bestimmte regionale Verbreitungen zeigen: Fast in ganz Norddeutschland, dem Westen und dem Südwesten Deutschlands sowie im Raum München ist das – wohl lautmalende (DWB X, 1288; Pfeifer) – heulen die dominante Variante. Im Elsaß ist die nicht diphthongierte und entrundete Form hiilen zu hören. Vor allem in der Mitte,  vereinzelt auch im Nordwesten und im äußersten Süden Deutschlands sagt man flennen; mit diesem Wort wurde anfänglich nur das Verziehen des Gesichts beim Weinen (und Lachen) bezeichnet, später dann auch „blosz für weinen und zumal für unartiges, kindisches und weibisches“ (DWB III, 1768f.). In Franken, im Westen der Deutschschweiz und vereinzelt auch in der Pfalz ist greinen üblich. Auch dieses Wort verweist zum einen auf das Verziehen des Munds (s. engl. to grin), zum anderen auf Laute, z. B. zum Ausdruck der Missstimmung oder des Unwillens (s. engl. to groan; vgl. DWB IX, 53f.). Auf die Heiserkeit, die sich bei Kindern nach langem lauten Weinen einstellt, bezieht sich der Ausdruck rägge(n), der aus Graubünden gemeldet wurde (vgl. Schweizerisches Idiotikon VI, 769).

Bei den Varianten brüllen, gellen, quarren, rehren, plärren, quarren und trensen / tränzen handelt es sich um ursprünglich wohl lautmalende Bezeichnungen für lautes Rufen, sowohl von Menschen als auch von Tieren. – Brüllen wird das laute Weinen von Kindern nur ganz selten im äußersten Nordwesten und Norden Deutschlands genannt. In der Form brüele(n) ist es jedoch der in der Schweiz (außer der Westschweiz) am weitesten verbreitete Ausdruck dafür (s. Schweizerisches Idiotikon V, 591); er kommt auch in Liechtenstein vor. Zwischen Schwarzwald und schwäbischer Alb sagt man brelle(n). – In Vorarlberg wird vereinzelt das Verb gellen (Das Kind gellat.) verwendet. Im alemannischen Sprachraum wird das Verb auch für das Rufen mancher Tierarten gebraucht (Schweizerisches Idiotikon II, 208), während es allgemeinsprachlich die Bedeutung ‘laut und grell klingen, schallen’ hat (DWB V, 3037). – Ebenfalls selten (einmal aus der Altmark und einmal aus Vorpommern) wurde die Form quarren gemeldet. Das Wort ist schon mittelniederdeutsch belegt und bedeutete da ‘grollende, brummende Töne ausstoßen’; norddeutsche Schriftsteller des 18. und 19. Jhs. haben es zur Bezeichnung für die Laute von Fröschen verwendet (vgl. DWB XIII, 2318; Pfeifer). – Der vereinzelt aus Österreich, Südtirol und der (West-)Schweiz und in verschiedenen Varianten gemeldete Ausdruck rehren (das Kind reat, reart, rert, rärret) ist mit röhren verwandt und steht ursprünglich für das Rufen bestimmter Tierarten (s. heute noch der röhrende Hirsch oder engl. roaring lions, vgl. DWB XIV, 561). – Plärren (oder auch blärren) ist ein in weiten Teilen Süddeutschlands (außer Franken, Zentralschwaben), Österreichs und Südtirols verbreiteter und vereinzelt auch im Norden vorkommender Ausdruck für das laute Weinen eines Kindes. –Das Verb trenzen (auch tränzen oder trensen geschrieben) wird vereinzelt aus Österreich gemeldet. Damit wurde ursprünglich das Schnauben bzw. Ausstoßen dumpfer Laute von Tieren bezeichnet und wurde von da aus wohl auf das heftige und schwere Atmen beim lauten Weinen bezogen (vgl. DWB XXII, 149).

Aus der Tatsache, dass von vielen Gewährsleuten mehr als eine Variante genannt wurde, wird deutlich, dass vielerorts mehrere Ausdrücke für das laute Weinen gebraucht werden, die entweder synonym verwendet werden oder jeweils bestimmte Aspekte dieses Weinens betonen (z. B. einmal die Lautstärke, einmal das Verziehen des Munds und einmal das heftige Atmen oder die Heiserkeit, das bzw. die langandauerndes Weinen manchmal begleitet). So verwendete etwa Wolfgang Amadeus Mozart in einem Brief an seine Schwester, in der er die Nachricht vom Tod eines Freundes der Familie kommentierte, gleich alle vier der hier aus den mundartlich bairischen Regionen Österreichs genannten Varianten: „wir haben schier geweint, gebleert, gerehrt, und trenzt“ (Brief vom 15.9.1773, Nachschrift).